Der Wok ist weg!

Hilfe! Das Chinabistro meines Vertrauens hat dicht gemacht! Und das mitten in der Fußgängerzone meiner Provinzstadt! Das musste ich gestern feststellen, als ich im Vorbeigehen spät abends völlig unvorbereitet sah, wie das früher so fröhliche Leucht-Schild seiner Buchstaben beraubt und die letzten Möbel ausgeräumt wurden – jene majestätisch rotbepolsterten Stühle mit den hohen Lehnen, auf denen ich so oft mein Lieblingsessen Nr. 104 eingenommen hatte!

„Hunderltvierl?“ hatte mich der Koch vor einigen Jahren gefragt, der sich die Speisekartennummer von meinem ersten Besuch gemerkt hatte und dessen einziger deutscher Wortschatz diese magische Zahl zu sein schien. Die Herzlichkeit, mit der er sie aussprach und die auch die anderen Inhaber teilten, brachte Licht in meine abendliche Erschöpfungs-Tristesse nach einem langen Arbeitstag. Vieler langer Arbeitstage. Hundertvier und ein kleines Pils. Einiger kleiner Pilse.

Schlimm genug, dass das Antiquariat ein paar Ecken weiter, das ich leider nie betreten habe, einem asiatischen Nagelstudio weichen musste, dem x. in der Stadt. Und das indische Restaurant nur ein Jahr durchgehalten hat. Und das tolle Café mit Konditorei jetzt in einen Vorort zieht. Aber Mr. Wok! Der Fels in der Brandung des Alltags! Unfassbar.  — Was wird jetzt aus ihnen? Ziehen sie in eine andere Stadt? Oder haben sie sich dem Markttrend angepasst und sind etwa auf Nagelpflege umgestiegen? Würde ich sie hinter ihren Mundschutzmasken und den Nagelfeinstaubwolken erkennen? Ein Versuch wäre es wert. Ich hatte zwar nie vor, mir lange Nägel mit kleinen Halbmonden und Lotusblüten bei Nacht gestalten zu lassen – aber ein Leben ohne „104“ scheint mir kaum vorstellbar!

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