Wäscheduft aus tiefen Kellern

Wie lange angekündigt, habe ich mich aus meinem bisherigen Leben in eine Art Parallelwelt ge-beamt, von der ich schon lange geträumt habe und um die mich viele beneiden: einer selbst verordneten Auszeit. Nun, da die (vor)letzten Kisten in meinem neuen Domizil ausgepackt sind und ich dem Zwitschern der Vögel im Garten zuhören kann, kommt es mir doch hochgradig unwirklich vor. Normalerweise würde ich (in meinem alten Leben) wahrscheinlich jetzt zum Kaffeeautomaten der Teeküche gehen und überlegen, was ich von den vielen zu erledigenden Dingen als erstes machen soll. Vielleicht würde mich jemand im Vorbeigehen ansprechen, ob ich diese oder jene Mail bekommen hätte. Aber ich sitze hier – in meiner alten Heimatstadt, in einem alten Viertel auf meinem Balkon zum Garten hin und genieße den frühen Nachmittag und dass kein Telefon klingelt.

Ach, wie liebe ich mein neues Haus – ein Gründerzeitdenkmal mit alten Blumen-Fliesen und filigranem Deckenstuck im Eingangsflur, breiten Holztreppen, kleinen, hohen Kammern auf halber Treppe. Im weiß getünchten Kellergewölbe (wirklich – der Keller hat Gewölbe!) duftet es nach Waschstube und alter Geschichte. Ganze Straßenzüge der Nachbarschaft sind von der vorletzten Jahrhundertwende, die meisten Häuser wurden im Laufe der vergangenen zehn Jahre wunderbar restauriert. In der Sommerhitze wabert der kühle Wäscheduft aus den Kellern auf den Gehsteig, umspielt meine Füße, bevor ich meinen Weg in Richtung Lindenallee und Wäldchen einschlage. Meistens herrscht hier Stille. Wer braucht Paläste und Villen – wenn man eine solche Wohnung hat! Und die hohen Einbauschränke aus Ur-Omas Zeit, in denen ich Marmeladen, Konserven und die alte Küchenwaage verstauen kann. Die alten Türscharniere und Schlösser! Mehrmals überpinselt, aber noch original. Bei Sonnenschein flimmern die zarten Schatten der windbewegten Birkenblätter an den Wänden. Auf dem Balkon baden dicke Vögel völlig ungeniert im Futternapf und lassen sich kaum noch stören. Dass sie überhaupt noch fliegen können erscheint mir verwunderlich. Besonders um den einen mache ich mir Sorgen. Der scheint gar nicht mehr weg zu wollen. Vielleicht habe ich es vor allem mit den Meisenknödeln doch übertrieben.

Zugegeben: Meine alten Team-Kollegen fehlen mir. Noch mehr als ich dachte. Und natürlich will ein solcher Schritt gut geplant sein. (Und ja, das habe ich mit langem Vorlauf gemacht so gut es ging.) Aber ein gewisses Restrisiko bleibt, ob dann alles klappt, wie man es sich erhofft. Das muss man wissen.

Aber wie sagte Martin Walser noch mal? „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“ Nur loslaufen muss man selber.

Zu Risiken und Nebenwirkungen sprechen Sie bitte vorher mit Ihrem Arbeitgeber oder einer guten Freundin. Oder einem guten Freund. Oder einem Seelsorger. Oder Tante Heide. Wirklich!