Es lebe das Stofftaschentuch

Stofftaschentücher machen den Unterschied – ob in Sitzungen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder unbeobachtet auf der Couch. Sie vermitteln aussterbenden Stil in der Ära der Papier-Taschentücher – dem Sinnbild der Schnelllebigkeit und des Werteverfalls. Hoch lebe das Stofftaschentuch!

Noch Fragen? Man beachte den Stoff! - mit leichtem Glitzereffekt.

Nicht ohne Gruseln nahm ich seinerzeit den künstlerisch verzierten Stofftaschentuchbehälter (heute würde man „-Spender“ sagen) aus den Händen meiner um meine Aussteuer besorgten Mutter entgegen, um ihn jahrelang in die hintersten Reihen meines Schlafzimmer-schranks zu verbannen – noch hinter die Wollkniestrümpfe für den Wanderurlaub, die pastellfarbenen Ringelsöckchen oder die gute (für Arztbesuche! aufzusparende) Weißunterwäsche. Dennoch hätte ich ihn nie einfach entsorgen können. Und jetzt bin ich froh!

Das Stofftaschentuch kann als das meist unterschätzte Alltagsaccessoir gelten. Dabei muss es nicht die schwulstig umhäkelt-gestärkte Kitschvariante sein (die im Theater aber übrigens immer noch gut kommt). Ein schlicht gemustertes Exemplar aus Leinen oder Baumwolle reicht. Wichtig: Es sollte gebügelt sein und im Fall der Fälle mit elegant-beiläufiger Handbewegung seiner Bestimmung zugeführt werden. Frisch gewaschen (bitte immer bei 60°) eignet es sich auch als Geschirrtuch für die Flachmann-Becherchen, die man genüsslich (auf einer Wanderung?) geleert hat und gegebenfalls ausspülen möchte, damit die Becher nicht eklig zusammenpappen, oder als Reinigungstuch aller Art. Der Vorteil: Im Vergleich zu Papiertaschentüchern ist es meist fusselfrei und großflächiger, auch ressourcenschonender, denn in die Waschmaschine passt es allemal. Eine Sonderform des Taschentuchs hat sich in Japan durchgesetzt: Dort hat man das Taschentuch mit dem Handtuch vereint; viele Japaner führen meist Frotteetücher mit sich, die eine große Ähnlichkeit mit unseren Waschlappen haben. Ein Must-Have für heiße Tage und Städte- und Auslandsreisen. Zugegeben: Für die Grippezeit ist es überhaupt nicht zu gebrauchen, sondern kann nur als Ersatz für den Notfall dienen.

Nicht zu unterschätzen bietet das Stofftaschentuch dem feinen Herrn von heute ferner die Möglichkeit, der Damenbegleitung galant in bestimmten Situationen praktische wie reißfeste Hilfe anzubieten, die Dame dabei ungemein zu beeindrucken und durch die im Wesen des feinen Stoffquadrats angelegte Wiederverwendbarkeit den Grundstein für das nächste Rendezvous zu legen (man gehe davon aus, die Dame erstattet es gewaschen und gebügelt zurück) – einfach wie in einem Schwarz-Weiß-Film. Mit Papiertaschentüchern geht das sicher nicht.